Am vergangenen Donnerstag hat die SPD in den Augen vieler ihre selbst gewählte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Verfassung zutiefst verletzt. Und obwohl niemand das Ergebnis der Bundestagswahl vorhersagen kann, drängt sich der Eindruck auf, als würde dieser eindrucksvolle Beweis eines fehlenden Rückgrats die Talfahrt der SPD weiter fortsetzen.
Und nicht nur auf Wählerseite geht es bergab: So treten auch Mitglieder aus der SPD aus, weil sie es für unerträglich halten, dass die eigene Partei, möglicherweise unbewusst, zumindest aber grob fahrlässig und ignorant, der erst jüngst sechzig gewordenen deutschen Verfassung den Krieg erklärt. So schreibt die Sozialdemokratin Julia Reda in Ihrer Austrittserklärung:
Mein Verständnis für die derzeitige Politik der SPD hört spätestens da auf, wo selbst Verfassungsmäßigkeit und Menschenrechte hinter Populismus und Wahlkampfgetöse zurücktreten müssen. [...] Die SPD, der ich seit meinem 16. Lebensjahr angehörte, hat sich spätestens heute gegen die universellen Menschenrechte und gegen das Grundgesetz gewandt. Meine Loyalität zur Verfassung ist größer als die zur Partei.
(Hervorhebung von mir)
Auch das Argument einiger, Tauss mache die "Piraten" zu einer zu große Zielscheibe für die "Bild"-Zeitung, hat zwar seine Berechtigung, vergisst aber möglicherweise, dass das Revolverblatt seine Missbilligung gegenüber den Zensurgegnern bereits geäußert hatte, bevor Tauss seinen Austritt andeutete. Denn schon am 12. Juni hatte das Blatt den SPD-Parteilinken Böhning zum "Verlierer des Tages" erklärt, und den Lesern suggeriert, dieser wolle die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet verhindern. Böhning hatte zuvor einen Antrag mit dem Titel "Löschen statt Sperren: Kinderpornographie wirksam bekämpfen, Internetzensur verhindern!" für den SPD-Parteitag eingereicht, um die Parteilinie von unwirksamen Internetsperren hin zu aktiver Bekämpfung von KiPo im Internet zu bewegen. Und so ist kaum zu erwarten, dass -- mit oder ohne Tauss -- die "Bild"-Zeitung sich den Argumenten der Zensurgegner sachlich nähert, oder gar (eine fast undenkbare Vorstellung?) ihren gesellschaftlichen Einfluss nutzt, um KiPo aktiv entgegenzutreten.
Update, 22.6.: Die Piratenpartei twittert gerade die ihre Position zur Unschuldsvermutung:
Um es mal ganz klar und deutlich zu sagen: Die Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht. Das Mittelalter ist vorbei #Tauss
Das Mittelalter ist vorbei -- ob man das im Reichstag schon weiß?
Bildquellen: "Stop"-Box Creative-Commons-lizensiert von Spreeblick; Tauss mit Piratenflagge: CC-by lizensiert von Matthias Bauer auf Wikimedia Commons