Das US-Fotoportal Flickr vergrault mit seiner deutschen Lokal-Version die Kunden: Für sie sind jetzt alle Bilder gesperrt, die man eher ungern der Oma, Kindern oder Arbeitskollegen zeigen würde. Einspruch zwecklos. Deutsche Nutzer rufen zum Boykott.
Das schreibt Spiegel Online über die kürzlich eingerichteten Bildfilter bei flickr.
Dabei werden -- nach einer vom Uploader selbst vorgenommenen Klassifizierung und je nach dessen Moralvorstellungen -- auch sonnenbadende Touristen oder im Swimmingpool planschende Kinder vollständig vor den Augen deutscher Kunden verborgen.
Am meisten besorgt mich aber (siehe mein Post zum Thema, den ich für meine ausländischen Bekannten geschrieben habe), dass flickr es so aussehen lässt, als sei das ausschließlich ein Problem, das ihnen der deutsche Gesetzgeber eingebrockt hätte.
Denn obwohl die Situation in Deutschland (Stichwort: Forenhaftung und Co.) sicherlich alles andere als trivial ist, hat sich, wie Isotopp in einem Artikel schreibt, dem ich weitestgehend zustimme, die Gesetzeslage nicht letzte Woche geändert und flickr unter Druck gesetzt, Maßnahmen zu ergreifen.
Schlimmer noch: Es werden nicht nur abertausendfach nach deutschem Verständnis völlig harmlose Bilder gesperrt, sondern hierzulande weitaus kritischere Fotos, die beispielsweise "Nazi-Symbole" tragen, sind nach wie vor frei zugänglich, weil deren Uploader sie nicht als bedenklich erachtet hat. Die Selbstzensur, die sich flickr von den Benutzern erhofft, greift also voll ins Leere. Die traurige Konsequenz ist, dass flickr vor lauter Angst, rechtliche Probleme zu bekommen ein System umgesetzt hat, das den deutschen Anforderungen, jedenfalls pauschal, gar nicht genügen dürfte.
Meine mehrfach vertretene Ansicht, dass man von einem Unternehmen wie yahoo erwarten kann, dass sie vor einem signifikanten Update (oder einer so tiefgreifenden Änderung der Grundbedingungen eines Services) ihre Hausaufgaben machen und sich lokale Gesetze von jemandem erklären lassen, der sich mit sowas auskennt, kann ich nur wiederholen.
Aber stattdessen kommt zu einem, äh, leicht verbesserungswürdigen Release-Management auch noch ein katastrophales Krisenmanagement, indem man über zwei Tage dauerhaften Protest der Nutzer hinweg nur bisweilen mal einen Mitarbeiter im Forum vorbeischauen lässt, um kurz zu erwähnen, dass es nichts zu erwähnen gibt, und eine Lösung nicht in Sicht sei. (Ganz folgerichtig aktiviert man auch Filter, um mehr oder minder kunstvolle Statements gegen die Filterpolitik des Dienstes von den Augen der unbedarften/nicht betroffenen Benutzer abzuschirmen).
Und so bleibt der eigentliche Vorwurf, den man sich in Sunnyvale anhören muss, dass sie in einem fehlgeschlagenen Versuch, lokale Gesetze zu beachten, ihre deutschen Benutzer mit dem Moralrasenmäher rasiert haben, und das, völlig ohne vor, während oder nach dieser Aktion die Kommunikation mit den Betroffenen zu suchen. Mein Lieblingsbuch zum Software-Projektmanagement ((DeMarco / Lister: Waltzing with Bears: managing risk on software projects, Dorset House Publishing, 2003)) analysiert als Beispiel eines völlig daneben gegangen Projekts die Gepäck-Software des Denver International Airport, aus den späten 80ern. Falls die Autoren für eine Neuauflage aber einmal ein Web 2.0-Projekt aus dem aktuellen Jahrhundert suchen, kann ich ihnen flickr nur wärmstens ans Herz legen.