Heute abend würde ich gerne ZDF schauen können: Literatur-"Papst" Marcel Reich-Ranicki hat bei der Verleihung des "deutschen Fernsehpreises" für einen kleinen Eklat gesorgt:

Zunächst hielt Moderator Thomas Gottschalk persönlich die Laudatio für Reich-Ranicki und gestand, dass er ihn "sehr verehre". Danach trat der "Literaturpapst" selbst ans Mikrofon und fand harte Worte: "Ich kann diesen Preis nicht annehmen. Man hätte mit seiner Zeit während der letzten drei Stunden weit Besseres anfangen können als diesen Mist hier." Weiter kritisierte er das aktuelle Fernsehprogramm als "Blödsinn" und setzte nach, dass nur noch auf Arte und 3Sat manchmal eine gute Sendung liefe. Sein Resümee des Abends: "Ich gehöre hier nicht hin. Ich werfe den Preis von mir!"

Ich selbst schätze Reich-Ranicki außerordentlich: Er war von je her ein Mensch, der seine Meinung mit allem Nachdruck vertreten hat, und dadurch -- ob man seine Ansichten nun teilte oder nicht -- zum Nachdenken angeregt hat. Und so hat er auch dieses mal nicht enttäuscht, wenn er der vor sich hindümpelnden deutschen Fernsehlandschaft eine Absage erteilt.

Bemerkenswert, dass die Chefs von ARD und ZDF gleich bereit gewesen sein sollen, über die Programmqualität zu sprechen. Sie scheinen genau zu wissen, was Reich-Ranicki meint.

urteilt der "Lawblog"-Schreiber Udo Vetter, und diese Ansicht teile ich: Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass man Reich-Ranicki im Anschluss an die Aufzeichnung eine Sendung anbot, in der er wohl mit Gottschalk über das deutsche Fernsehen debattieren soll.

Ob diese implizite Selbstkritik freilich ausreicht, weite Teile des deutschen Fernsehens aus der Trivialität zu holen, muss sich zeigen.

Nur eines kann ich aus der Ferne beitragen: Reich-Ranicki tut gut daran, sich nicht das Amerikanische Kabelfernsehen anzusehen: Das meiste, mit dem die Sender hier das Werbefernsehen unterbrechen, lässt uns Zuschauer nur wünschen, dass bald wieder Werbung kommt. Ausnahme: Von den exzellenten Serien hier (ich denke an CSI, House, ER, Dexter...) kann man sich daheim mehr als nur eine Scheibe abschneiden. In derselben Liga spielt in Deutschland nur der Tatort (was man ja vielleicht bereits als einen kleinen Lichtblick werten könnte).

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Unter dem Titel "Aufruhr im Bloggerland" stolperte ich bei Rouven über die Reaktion der deutschen "Blogosphäre" auf einen umstrittenen Artikel bei Spiegel Online namens "Die Beta-Blogger".

Von einer Reaktion wie Rumpelstielzchen will ich einmal absehen, nicht nur weil mir das viele andere bereits abgenommen haben, sondern vor allem, weil ich weniger verärgert als amüsiert bin.

[caption id="attachment1356" align="alignnone" width="500" caption="Cloud Gate to Millenium Park, by Miles78 on flickr"]Cloud Gate to Millenium Park, by Miles_78 on flickr[/caption]

Ausgerechnet Spiegel Online, der, was die sprachliche wie inhaltliche Qualität betrifft, neben seinem namengebenden Mutterblatt immer ein bisschen blass aussieht, beklagt sich über den mangelhaften politischen Einfluss der deutschen Bloggerszene, sie seien "selbstbezogen und unprofessionell"? <!--more--> Teilweise mögen sie ja mit ihrer Kritik recht haben. Viele Blogger schaffen es mit Berichten, gegen die das Sandmännchen ein Psychothriller ist, nicht einmal ihre engsten Freunde zu unterhalten -- geschweige denn irgendwelche Stürme zu entfachen, und sei es nur im Wasserglas. Doch was die "SpOn"-Autoren verfehlen, ist, dass die allermeisten Blogger den Anspruch, den Tageszeitungen den Rang abzulaufen, gar nicht erst erheben: Sie schreiben für eine mal kleine, mal große Fangemeinde, die ihre Themen oder ihren Stil schätzen, und haben nicht vor, Otto Normalverbrauchers tägliche Lektüre der FAZ zu ersetzen.

Das mag anders sein als bei Bloggern in den USA, wie der Artikel in epischer Breite widergibt; das aber scheint mir, anders als Spiegel Online, kein Grund zur Beunruhigung: Meiner Erfahrung nach zeichnen sich "gute" deutsche Blogger vor allem dadurch aus, dass sie in ihrer jeweiligen Nische hilfreiche Informationen und interessante Beiträge liefern, und nicht durch das Aufdecken von Skandalen. Ein Umstand, der wohl darin begründet liegt, dass wir in Deutschland allgemein recht gut recherchierende Nachrichtenmagazine (ob auf dem Schirm oder auf Papier) haben -- etwas, das man in den kommerziellen Medien der USA nur sehr eingeschränkt findet. Dass etwa Rupert Murdochs Fox News das erweiterte Sprachrohr des amtierenden Präsidenten und seiner Freunde ist, ist selbst Spiegel Online nicht verborgen geblieben.

Den Kern des Artikels bildet aber letztlich nicht der Versuch, den deutschen Bloggern ihre Relevanz absprechen zu wollen (eine Aussage, die die werten Mitblogger nicht beleidigen sollte, unabhängig davon, ob sie zu den Alpha-, Beta-, oder gar "Omega-Bloggern" zählen). Nein, aus ihm spricht die Angst, selbst Teil dieser scheinbar irrelevanten Bloggergruppe zu sein.

Denn als Online-Medium, das bestenfalls im Schatten der Printausgabe, oft aber schlicht in der journalistischen Dunkelheit zu wandeln scheint, befindet sich Spiegel Online offenbar in einer mittelschweren Identitätskrise: Kein Blogger sein wollend, bei den "großen" aber auch nicht mitspielen dürfend, fürchtet man dort, von der goldenen Mitte in die gar nicht mehr glänzende Mittelmäßigkeit abzurutschen, schlimmer noch: dies bereits getan zu haben.

Eine Vermutung, die die Autoren auch dadurch nicht widerlegen können, dass sie den Lesern das Gegenteil gleich mehrfach einzubleuen versuchen ("Wenn das hier ein Blog wäre und kein Magazinartikel...", "Ach, wenn das hier ein Blog wäre..."). Auch an anderer (zugegeben, renommierterer) Stelle teilt man meine Ansicht: Der Handelsblatt-Blogger Thomas Knüwer kommt zu einer ganz ähnlichen Erkenntnis, wenn er vom erschreckenden Misserfolg von Spiegel Online schreibt.

In diesem Licht sieht der Artikel schon gar nicht mehr so aus wie eine große Neuigkeit, oder gar eine ernstgemeinte Kritik an der Bloggerei in Deutschland, sondern viel mehr wie der verzweifelte Versuch, doch endlich selbst wieder im schmerzlich vermissten Rampenlicht zu stehen. Hollywood ist eben nicht die einzige Bühne, auf der gilt: "All press is good press".

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